Bis Anfang der 70er-Jahre wurde experimentiert, entwickelt und verworfen. Konkurrenten um den Auftrag waren die Ingenieure von Volkswagen, Audi, NSU und Porsche. An der Gestaltung waren die damals führenden italienischen Studios beteiligt: Bertone, Ghia, Italdesign und Pininfarina. Denn mittlerweile ging es nicht mehr „nur“ um einen Käfer-Nachfolger, sondern um eine markenübergreifende Modellfamilie.
Vom Käfer zum Golf
Ende der 1960er-Jahre war die Welt im Wandel: Alte Werte wurden in Frage gestellt. Und bei Volkswagen? Dort ging es nicht nur um einen Nachfolger für den Käfer. Ingenieure und Designer hatten zahlreiche Ideen für weitere kleine und große Volkswagen. Wir blicken zurück auf bewegte Zeiten ...
1970/71 hatte man sich hinsichtlich des Käfer-Nachfolgers geeinigt: Vierzylinder-Reihenmotor vorn, Antrieb ebenfalls vorn, dazu ein zeitloses Karosseriedesign. Die Form des Golf stammt von Giorgio Giugiaro.
Der kantige Kompakte überzeugte sofort durch Nutzwert und Qualität. Inzwischen spricht man von der „Golf-Klasse“. Den Käfer hat er in der Stückzahl inzwischen weit übertroffen.
Vom Volkswagen Typ 3 zu Passat und Audi 80
Mit wachsendem Wohlstand in Westeuropa ging der Trend ab Mitte der 60er Jahre weg vom Einstiegsmobil zum besser ausgestatteten Mittelklasse-Modell. Bei Volkswagen hatte man das früh erkannt und dem Käfer (Typ 1) ab 1961 den größer wirkenden Typ 3 zur Seite gestellt.
Allerdings behielt er einen luftgekühlten Boxermotor im Heck. Auch hierzu machte man sich Gedanken und plante den Nachfolger mit Frontmotor auszustatten. Nach mehreren erfolglosen Projekten startete man um 1970 den sogenannten „Entwicklungsauftrag 272“: Mit zunächst quer installiertem, neu entwickelten Reihenvierzylinder, der zusammen mit anderen Volkswagen-Modellen eine größtmögliche Familienähnlichkeit und Gleichteilstrategie realisieren sollte.
Das Fahrzeug wurde später Passat genannt. Bei Audi setzte man auf den EA 838 mit einem längs eingebautem Reihenvierzylinder aus Ingolstädter Entwicklung. Die Fahrzeugstudie war ursprünglich etwas kleiner als der EA 272 und hatte zunächst noch ein Schrägheck. Der neue Volkswagen Chef Rudolf Leiding strich schließlich alle Parallelentwicklungen und sorgte dafür, dass für den Stufenheckwagen Audi 80 von 1972 und den Schrägheckwagen Passat von 1973 Motor und Karosseriegrundkörper aus Bayern kamen.
Die neuen Kleinen
Volkswagen wollte nur ungern ins Marktsegment unterhalb des Käfers. Anders die Techniker und Entwickler von NSU, die eine Weiterentwicklung der kleinen Prinz-Typen ins Auge fassten. Die neue Unternehmenstochter NSU war nämlich mit ihren Zwei- und Vierzylinder-Prinzen durchaus erfolgreich, wenngleich die Luftgekühlten ebenfalls ihren Zenit überschritten hatten.
Den finalen Auftrag für den neuen Kleinen gaben die Wolfsburger schließlich nach Ingolstadt. Das Design verantwortete Audi-Designer Claus Luthe. Das Projekt war von Anfang an zur Produktion in Wolfsburg vorgesehen. Ab 1974 lief in Niedersachsen also der Audi 50 und ab 1975 der Polo vom Band.
Der Traum vom Aufstieg
Auch in Wolfsburg träumte man schon früh von großen, starken Automobilen der Marke – aber Audi war schneller. Dort wurde ein eigenes Oberklasse-Fahrzeug entwickelt, übrigens zunächst ohne Wolfsburger Genehmigung. Doch der Audi 100 überzeugte, und die vom 100er abgeleitete sportiv-elegante Coupé-Version (gezeichnet von Hartmut Warkuss, später Chefgestalter des Volkswagen-Konzerns) rückte die Ingostädter näher an Traumgegner Mercedes-Benz heran.
Daneben hatte Audi infolge der Übernahme von NSU den unglaublich schicken Ro 80 im Portfolio. Sein hochgelobter Wankelmotor geriet aber zum Flop.
Das Fahrzeug selbst gehört in den automobilen Olymp und ist ein stilistisches Meisterwerk: Übrigens sollte der Ro 80 nahezu zeitgleich mit dem K70 auf den Markt kommen. Durchsetzen konnten sich beide nicht.
Volkswagen hatte bereits Mitte der 60er an einem eigenen Luxusliner gearbeitet – mit einem bei Porsche entwickeltem Sechszylinder im Heck und zeitlosem Pininfarina-Design. Studien für Limousine und Kombi entstanden, dann endete das Projekt.
1971 folgte ein großes, durchaus elegantes Experimentalfahrzeug namens ESVW1, gezeichnet von Herbert Schäfer. Dieses Auto sollte die Basis für ein künftiges C-Klasse-Konzernmodell made in Wolfsburg werden. Von diesem Projekt überlebten lediglich maßstabsgerechte Modelle sowie Zeichnungen und Skizzen. Abgeleitet worden war eine Audi-Version – natürlich unter Nutzung der neuen Gleichteilstrategie.
Aus dem C-Klasse-Projekt des Volkswagen Konzerns wurde nichts, aber im Audi 100 der zweiten Generation (C2) finden sich eine Reihe von gestalterischen Übernahmen der sogenannten "ESVW1"-Studie.
Bei Volkswagen selbst wurden diese Höhenflüge nach 1973 beendet – die Markteinführung des neuen Golf erlaubte keine weiteren Wagnisse.
Die wichtigsten Modelle, ihre Entwicklungsschritte sowie die entscheidenden Motoren einschließlich aller verworfenen Kreationen werden in einer neuen, einzigartig bestücktenSonderausstellung in der Stiftung AutoMuseum Volkswagen in Wolfsburg in der Dieselstraße gezeigt und erklärt.
An der Kasse des AutoMuseums wird zudem ein extra erstellter 176-Seiten-Band angeboten. Er erläutert mit exklusiven Bildern und detailreichen Texten, wie ein wagnisreiches Projekt zum vollen Erfolg wurde.