„Futures of Ethics“: So heißt ein Volkswagen Projekt, das Herausforderungen der kommenden beiden Jahrzehnte beschreibt. Was ist der Zweck?
Anne-Kathrin Beugel: Als Experten aus dem Future-Heads-Netzwerk fühlen wir uns mitverantwortlich für die Zukunft von Volkswagen. Deshalb legen wir einen Bericht vor, der soziale, ökologische, wirtschaftliche, technologische und politische Entwicklungen zusammendenkt und mögliche Szenarien beschreibt. In unserem diversen Arbeitsteam hatten wir die Chance, unterschiedliche Perspektiven zu berücksichtigen. Wir haben uns zum Beispiel mit den Folgen der Erderwärmung, dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz oder politischen Machtverschiebungen beschäftigt. Durch den 360-Grad-Blick wollen wir dazu beitragen, Probleme zu erkennen und ethisch begründete Antworten zu geben.
Elhadj As Sy: Es ist wichtig, dass sich Unternehmen rechtzeitig auf Veränderungen einstellen. Noch wichtiger ist es, die Entwicklung positiv zu beeinflussen. Gerade große Unternehmen wie Volkswagen können bei Umwelt- und Klimaschutz, Mobilität, Gleichheit oderGeschlechtergerechtigkeit einen entscheidenden Beitrag leisten. Das Engagement der Future Heads ist wertvoll: Es fördert die Diskussion, wie Volkswagen dieser Verantwortung gerecht werden kann und unterbreitet gleichzeitig Lösungsvorschläge.
Nachhaltigkeitsbeirat Sy: Volkswagen soll Vorkämpfer für die Umwelt werden
Mächtige Kräfte wie Klimawandel und Digitalisierung verändern die Welt in atemberaubendem Tempo. In einem sechsmonatigen Projekt haben 25 junge Volkswagen Experten herausgearbeitet, welche Anforderungen auf Unternehmen zukommen und wie ein verantwortungsbewusster Weg in die Zukunft aussehen kann. Im Interview diskutieren Elhadj As Sy, Mitglied des unabhängigen Nachhaltigkeitsbeirats von Volkswagen, und Anne-Kathrin Beugel, Volkswagen Future-Heads-Netzwerk, über die Herausforderungen des Jahres 2040. Bei den Future Heads engagieren sich mehr als 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Unternehmens zu Themen der künftigen Mobilität und gesellschaftlichen Verantwortung.
„Der Druck der Jüngeren ist extrem wertvoll, damit wir mehr tun und schneller handeln.“
Elhadj As Sy, Mitglied des unabhängigen Nachhaltigkeitsbeirats von Volkswagen
Was erwarten Sie von Volkswagen?
Elhadj As Sy: Volkswagen ist auf dem Weg zum klimaneutralen Unternehmen. Das ist gut. Ein Konzern wie Volkswagen muss den Anspruch haben, bei der Dekarbonisierung eine führende Rolle zu spielen. Darüber hinaus erwarte ich, dass Unternehmen auch in akuten Krisen wie der Corona-Pandemie Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen. Volkswagen hat das auf vielfältige Weise getan – unter anderem hat das Unternehmen eine ehemalige Fabrik in Südafrika in ein Krankenhaus für Covid-19-Patienten umgebaut.
Anne-Kathrin Beugel: Mir persönlich ist wichtig, dass mein Arbeitgeber bei sozialen und ökologischen Themen verantwortlich handelt. Diesen Anspruch teile ich mit vielen Menschen meines Alters. Nachhaltigkeit ist für mich keine Bremse, sondern ein Motor. Gerade Klimagerechtigkeit bietet viele Chancen für neue Geschäftsfelder. Denken wir an die Kreislaufwirtschaft. Wir haben die Chance, unsere Wirtschaft klimaneutral zu machen. Es ist höchste Zeit, dass wir aktiv werden. Das bewegt meine Generation.
Elhadj As Sy: Diese Wir-können-es-schaffen-Mentalität beeindruckt mich. Viele junge Menschen sind wütend und ungeduldig. Sie stellen den Status Quo in Frage. Sie fordern die Verantwortlichen heraus. Das beste Beispiel ist die Fridays-for-Future-Bewegung. Der Druck der Jüngeren ist extrem wertvoll, damit wir mehr tun und schneller handeln.
Verantwortung für die Gesellschaft: Volkswagen Group South Africa hat 2020 eine ehemalige Fabrik in eine Klinik für Covid-19-Patienten umgebaut.
Die Pandemie stellt Unternehmen vor große Herausforderungen. Befürchten Sie, dass Ethik und Nachhaltigkeit in den Hintergrund rücken?
Elhadj As Sy: Das ist nicht auszuschließen – deshalb ist Führung gefragt. Die Führung muss entscheiden, Teil der Lösung zu sein – auch wenn es schwierig ist. Ich setze darauf, dass Volkswagen so handelt. Aber machen wir uns nichts vor: Die Corona-Pandemie wird nicht die letzte Krise sein. Es wird Klima-Schocks geben, Umwelt-Schocks, neue Krankheiten. Ob diese Schocks zum Desaster werden, hängt davon ab, wie gut Akteure wie Volkswagen vorbereitet sind. Sie müssen Warnzeichen erkennen und darauf reagieren. Das gelingt am besten in einer Kultur, in der sich die Beschäftigten unterstützen und vertrauen.
Anne-Kathrin Beugel: In der Pandemie beschleunigt sich die Digitalisierung massiv. Viele Menschen arbeiten von zuhause und treffen ihre Freunde online. Für unsere sozialen Beziehungen sehe ich darin keinen Grund zur Sorge, denn unser Bedürfnis nach Gemeinschaft ist stark und wird stark bleiben. Anders ist dies in der Arbeitswelt: Wenn wir neue Technologien voranbringen, müssen wir immer auch die Folgen für die Beschäftigten und Kunden bedenken. Das betrifft auch die Autoindustrie. Ich finde gut, dass Volkswagen diese Verantwortung ernst nimmt. Ich habe sogar das Gefühl, dass Ethik und Nachhaltigkeit im Unternehmen immer wichtiger werden.
„Die Menschen werden in Zukunft nur in einer gesunden und transparenten Unternehmenskultur arbeiten wollen.“
Anne-Kathrin Beugel, Volkswagen Future-Heads-Netzwerk
Wie entsteht eine Kultur, in der die Ethik nicht unter die Räder kommt?
Anne-Kathrin Beugel: Der Weg zu einer guten Unternehmenskultur ist lang. Es braucht die richtigen Regeln und die richtige Haltung. An meinem Arbeitsplatz im Bereich Integrität und Recht versuche ich, einen kleinen Beitrag zu leisten. Unser Ziel ist es, Ethik und Integrität zum festen Bestandteil aller Entscheidungen zu machen. Vom Produktionsmitarbeiter bis zum Vorstandsmitglied. Ich bin überzeugt, dass Integrität ein wichtiger Erfolgsfaktor für jedes Unternehmen ist. Die Menschen werden in Zukunft nur in einer gesunden und transparenten Unternehmenskultur arbeiten wollen.
Elhadj As Sy: Mit zufriedenen Beschäftigten fängt alles an – noch bevor man nach außen über die Unternehmenskultur spricht. Das ist ein langer Weg, auf dem es Schlaglöcher und Hürden gibt. Dessen muss man sich bewusst sein, um sie zu vermeiden. Es braucht Offenheit, kritische Debatten und Korrekturen, wenn es notwendig ist.
Welche Rolle spielt der unabhängige Volkswagen Nachhaltigkeitsbeirat?
Elhadj As Sy: Der Nachhaltigkeitsbeirat fordert das Management heraus, er diskutiert, er kritisiert. Wir sprechen über Ethik, Unternehmensführung, Mobilität und Dekarbonisierung. Ich bin froh, dass die Führung von Volkswagen diese Herausforderung annimmt. Das ist für mich die Motivation, meine Arbeit im Beirat fortzusetzen. In unserer globalisierten Welt kann kein Unternehmen bestehen, das sich abschottet und die Folgen seines Handelns nicht reflektiert. Nur offene Unternehmen sind erfolgreiche Unternehmen.
Anne-Kathrin Beugel: Ein gutes Beispiel bei Volkswagen ist der Stakeholder-Dialog mit unabhängigen Köpfen. Bei diesem Austausch spüre ich den Mut, das Geschäft neu zu denken und neue Möglichkeiten zu erkunden. Die Gesellschaft erwartet von großen Firmen zurecht, dass sie sich gesellschaftlichen Themen stellen, Verantwortung übernehmen und Lösungen anbieten.
Elhadj As Sy: Es ist eine Win-Win-Situation. In der Vergangenheit wurde gesellschaftliches Engagement oft als Beitrag zu einem besseren Image gesehen. Aber es ist viel mehr! CSR (Anm.: CSR steht für Corporate Social Responsibility) beeinflusst die Gesellschaft zum Guten. Und für Unternehmen noch wichtiger: Es motiviert die Beschäftigten. Wenn Unternehmen nicht in der Lage sind, die nächste Generation von Experten anzuziehen, fallen sie im Wettbewerb zurück.
(Hinweis: Beim Stakeholder-Dialog tauschen sich Führungskräfte von Volkswagen regelmäßig mit externen Stakeholdern über Nachhaltigkeitsfragen aus. Zu den Stakeholdern gehören Geschäftspartner, Zulieferer, NGOs sowie Vertreter aus Wissenschaft, Forschung, Politik, Verbänden und nachhaltigem Kapitalmarkt.)
Arbeit im Volkswagen Werk Zwickau. Mehrere Tausend Mitarbeiter wurden dort für die E-Mobilität qualifiziert. „Wenn wir neue Technologien voranbringen, müssen wir immer auch die Folgen für die Beschäftigten und Kunden bedenken“, sagt Anne-Kathrin Beugel.
Was müssen verantwortungsbewusste Unternehmen bis 2040 erreichen?
Anne-Kathrin Beugel: Sie müssen Zukunftsforschung betreiben, ihr Geschäftsmodell immer wieder hinterfragen und sich neuen Trendsflexibel anpassen – selbst wenn es unbequem ist. Sie müssen ganzheitlich denken und neue Lösungen schaffen – so wie es Volkswagen bei der Elektromobilität tut. Und der wichtigste Punkt: Sie müssen ein globales Netzwerk von Partnerschaften aufbauen, in dem sie Erfahrungen für eine bessere Zukunft austauschen. Gemeinsam können Unternehmen viel mehr erreichen als allein.
Elhadj As Sy: Bei der E-Mobilität würde ich ergänzen: Unternehmen wie Volkswagen müssen Verantwortung für ethische Standards in ihrer gesamten Lieferkette übernehmen - vom Rohstoffabbau in afrikanischen Minen bis zum Fahrzeugbau. Und: Volkswagen sollte nicht nur selbst ethisch handeln, sondern andere positiv beeinflussen und ermutigen. Das gilt beispielsweise für Gespräche mit nationalen Regierungen und der EU. Die Vorreiterrolle bei der Dekarbonisierung muss zur DNA des Unternehmens gehören. Volkswagen sollte Vorkämpfer für die Umwelt sein.
Die Gesprächspartner:
Elhadj As Sy ist Vorsitzender des Vorstands der Kofi-Annan-Stiftung und Ko-Vorsitzender des WHO/World Bank Global Pandemic Preparedness Monitoring Board (GPMB). Er war Generalsekretär der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC) - dem weltweit größten humanitären Netzwerk. Zuvor war er mehr als 25 Jahre lang in leitenden Funktionen bei internationalen Organisationen tätig, unter anderem beim UN-Kinderhilfswerk UNICEF. Seit 2016 ist er Mitglied des unabhängigen Nachhaltigkeitsbeirats von Volkswagen. Der Beirat besteht aus renommierten Vertretern aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Sie beraten das Unternehmen bei den Themen nachhaltige Mobilität und Umweltschutz, gesellschaftliche Verantwortung und Integrität sowie Zukunft der Arbeit und Digitalisierung.
Anne-Kathrin Beugel (27) ist seit neun Jahren bei Volkswagen beschäftigt. Nach dem ausbildungsbegleitenden Logistik-Studium war sie im Versorgungsmanagement sowie in der Strategischen Beschaffung tätig. Seit einem Jahr arbeitet sie im Vorstandsbereich Integrität und Recht an der Umsetzung des Together4Integrity-Programms mit. 2018 erwarb sie einen Management-Abschluss der AKAD University Stuttgart. Seit 2019 gehört sie zum Future-Heads-Netzwerk. Das Netzwerk besteht aus mehr als 300 jungen Expertinnen und Experten aus vielen Fachbereichen und Regionen des Volkswagen Konzerns. Sie engagieren sich unter anderem zu Themen der künftigen Mobilität, der Transformation und der gesellschaftlichen Verantwortung.