Die Amerikaner lieben mächtige Achtzylinder-Motoren, blubbernde Pick-ups, exklusive Luxusmodelle aus Europa oder SUVs. Den VW 181, einst als Armeefahrzeug unter dem offiziellen Namen „Kurierwagen“ ersonnen, kennt man außerhalb der Sonnenstaaten Florida oder Kalifornien kaum. Doch wer ihn sieht, reckt den Daumen nach oben oder ruft ihn bei seinem amerikanischen Spitznamen „The Thing“.
Mit dem 181 durch die USA
Wer die USA kennenlernen will, sollte dort mal einen "Roadtrip" machen. Und wer sich dabei abheben will, nimmt am besten ein Auto, wie es puristischer kaum sein kann: einen Volkswagen 181, auch bekannt unter dem Spitznamen „Kübel“. Er feiert in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag.
Das Ding – und was für eines. Technische Basis für den 1968 vorgestellten und ab 1969 produzierten VW 181 ist der Käfer, der in den USA wohl eine noch größere Legende als in Europa ist. Obendrauf steht - ungalant formuliert - eine Wellblechkarosse, deren Schönheit sich vielen wohl nur auf den dritten oder vierten Blick erschließt. The Thing gilt gemeinhin als leicht zu reparieren und unverwüstlich. Der Tank des Klassikers fasst nur 40 Liter und so ist es oft nötig zu tanken - trotz eines vergleichsweise sparsamen Verbrauchs von kaum mehr als zehn Litern. Und weil die Tankanzeige ebenso defekt ist wie der Kilometerzähler, wird etwas häufiger getankt als es sein müsste.
Praktisch: das PVC-Dach lässt sich mit wenigen Handgriffen nach hinten klappen, denn einen 181er fährt man eigentlich bei jedem Wetter offen. Dann noch die vier Einsteckscheiben aus ihren Halterungen ziehen und hinter den beiden schwarzen Kunstlederstühlen verstauen und ab geht es Richtung Westen - abseits von Highways und Schnellstraßen. Denn ab einer Geschwindigkeit von 50 Meilen pro Stunde wird es ungemütlich.
Kleine Straßen, großer Fahrspaß
Je kleiner die Straße, umso größer der Fahrspaß. In Küstennähe sind viele Biker unterwegs und der 1,6 Liter große Vierzylinder-Boxer schnattert munter vor sich hin. Harley-Reiter auf ihren bollernden Zweizylindern schauen irritiert zum gelben Thing herüber. Sie lachen und nicken. Auch als sie sehen, dass die beiden Alukoffer auf der Rückbank mit Fahrradschlössern gesichert sind.
Das gleiche Bild bei Stopps an Tankstellen, namenlosen Supermärkten und Rastplätzen nahe der Küste. Im „Fathoms Steam Room“ in Apalachicola sind die Fischportionen stattlich. Die Besitzerin des Lokals kommt aus der Küche nach vorne gestürzt und fragt, wem das gelbe Thing gehöre, sie hätte noch nie einen gesehen. Minuten später kommt ihr Freund und will den Wagen kaufen. Am nächsten Tag geht es weiter Richtung Pensacola, vorbei an einer der größten Flugschulen der USA. Hier hat Anfang Oktober 2018 ein Wirbelsturm namens „Michael“ gewütet. Stundenlang sind entlang der Küstenstraße zerstörte Häuser und niedergemähte Wälder zu sehen.
Es ist nicht mehr so heiß wie am ersten Tag, nur noch zehn Grad Celsius. Die Küste wirkt menschenleer, es ist neblig. Eine funktionierende Heizung wird ebenso vermisst wie bequeme Sitze. Praktisch ist: Wer bei Sandwich- oder Kaffeepausen auf die Kunststoffstühle kleckert, wischt sie einfach ab.
Berge sucht man hier vergebens. Doch geht es große Brücken hoch, müht sich der 1,6 Liter große Boxermotor im Heck und drückt das Auto mit seinen überschaubaren 32 kW / 44 PS die steilen Flußüberquerungen hinauf. Auf kleinen Nebenstraßen oder auf dem Highway schafft das gelbe Nutzfahrzeug aus dem Jahr 1973 immerhin etwas mehr als 60 Meilen pro Stunde, was etwa 97 Stundenkilometern entspricht. Offiziell liegt sein Maximaltempo bei knapp über 70 Meilen.
Eine Art automobiler Voodoo
Durch die Sümpfe der Südstaaten geht es Richtung New Orleans ins gigantische Mississippi-Delta - immer entlang der nicht enden wollenden Küsten- und Wasserlinie, an der sich Meer und Seen kaum unterscheiden lassen.
In New Orleans, dem kunterbunten Herzen Louisianas, wird jeden Abend gefeiert. Während der Schaufelraddampfer Steamer Natchez sich zur Flussfahrt in die untergehende Sonne verabschiedet, brandet rund um die Bourbon Street das bunte Nachtleben auf.
Doch selbst zwischen den vergnügungssüchtigen Touristen und heimischen Partygängern fällt The Thing auf. Der eine oder andere hält ihn im New-Orleans-Delirium für eine automobile Art des Voodoo. Der Wagenmeister des Hotels lässt den 181er direkt vor dem Haupteingang stehen: Niemand hier will mit einer Handschaltung fahren. So sind Aufmerksamkeit und ein ungewohnt schneller Zugriff auf das Fahrzeug garantiert.
Am nächsten Tag geht es weiter durch endlose Sumpflandschaften mit Alligatoren. Ich fahre herunter von der Bundesstraße 90 in Richtung Erath Abbeyville ehe ich auf die 82 abbiege. Als der Kübel im Niemandsland von Louisiana mit einem Spotzen genau vor der Lebensmittelhandlung Booth’s Grocery nahe Grand Chenier ausläuft, lerne ich die Besitzerin Temea kennen:
„Ich habe den Laden hier seit 1957“, erzählt die rüstige Seniorin und bietet sofort die lokale Spezialität an, eine Wurst-Reis-Mischung.
Feiern am Feierabend
Nach dem Auffüllen mit dem Reservekanister stellt sich heraus: Der Tank war gar nicht leer, sondern nach knapp 1000 Meilen (etwa 1.600 Kilometer) Fahrt hat die Benzinpumpe schlapp gemacht. Zwei Stunden später arbeitet sie wieder und so geht es mit gezügeltem Gas und aufmerksamen Gehör über die 82 weiter ins 60 Meilen entfernte Lake Charles, wo in einem der großen Casinos diejenigen feiern, denen Las Vegas zu weit weg ist.
Ich wähle nicht den direkten Weg zur Endstation der Reise in Houston, sondern fahre in Richtung südlicher Küstenlinie über Highway 27 zur 82. Auf der finalen Etappe wird das alte Auto im Feierabendverkehr noch einmal richtig gefeiert: Der gelbe Sonderling fällt hier noch mehr auf als in den Südstaaten.