Neu Wulmstorf bei Hamburg. Es ist ein sonniger Spätsommertag, auf dem Parkplatz im Innenhof der Fahrschule Sander stehen dicht an dicht grün beklebte Fahrzeuge – seit der Gründung im Jahr 1970 die markante Farbe der familiengeführten Fahrschule. Nur ein Fahrzeug sticht mit seiner blauen Beklebung heraus: der ID.3 1st. „Das war vor rund sechs Monaten unser erstes Elektrofahrzeug und wir haben uns bewusst für die auffällige Farbe entschieden, um ein Zeichen zu setzen“, sagt Malte Sander, der die Fahrschule in zweiter Generation leitet.
„E-Mobilität in der Fahrschule ist ein Megathema“
Der Umstieg auf Elektrofahrzeuge macht für Fahrschulen aus vielen Gründen Sinn: Sie sind umweltfreundlich, modern und verringern die Betriebskosten. Nicht zuletzt wächst die Nachfrage bei Schülerinnen und Schülern – auch aufgrund einer Anpassung bei der Ausbildung. Die Fahrschulen rüsten ihre Fuhrparks um.
Verbrenner sollen Elektroautos weichen
Die Transformation zur elektrifizierten Fahrschule treibt der 43-Jährige seitdem vehement voran – mittlerweile gehören auch vier ID.4 zur Flotte. „Derzeit haben wir noch rund 30 Verbrenner-Pkw im Fuhrpark, wovon wir so viele wie möglich durch Elektroautos ersetzen möchten. Aber das muss auch in die betrieblichen Abläufe passen“, erklärt Sander. Dabei spielen nicht nur die Kosten, sondern vor allem die Ladeinfrastruktur eine Rolle. „Wir haben als Fahrschule mehrere Förderungen beantragt, die erste davon wurde jetzt genehmigt. So werden hier am Hauptsitz in einem ersten Schritt vier Ladepunkte errichtet.“
Elektroautos in Fahrschulen sind auch aus Sicht der Hersteller sinnvoll. Neben dem Absatz der Ausbildungsfahrzeuge ist es vor allem die Begeisterung bei den Fahrschülerinnen und Fahrschülern: Wer in einem Elektroauto die Ausbildung macht, möchte häufig auch im Anschluss ein elektrifiziertes Auto fahren. Nicht selten sogar exakt das Modell, auf dem gelernt und bestanden wurde – denn der positive Bezug bleibt. Gerade die junge Generation ist es, die zukünftig darüber entscheiden wird, wie schnell Elektroautos die Verbrenner auf der Straße sukzessive ersetzen. Fahrschulen leisten damit einen Beitrag zur Meinungsbildung.
„Elektromobilität ist die Zukunft und es macht total Spaß"
Helena Reintsema, Fahrschülerin
B197-Führerschein erleichtert Umstieg
Um das Interesse an dieser Ausbildung weiter zu steigern, soll eine seit April 2021 geltende Neuerung bei der Führerscheinprüfung helfen. Der B197-Führerschein erlaubt es, die Ausbildung auf Fahrzeugen mit Schaltgetriebe und Automatikgetriebe zu kombinieren. Lediglich zehn Mindestfahrstunden müssen handgeschaltet absolviert werden. Die praktische Prüfung kann dann auf einem Auto mit Automatikgetriebe erfolgen – dazu zählen auch elektrisch angetriebene Fahrzeuge, die nicht mit Handschaltung erhältlich sind. Mit der Änderung wird es Fahrschulen leichter gemacht, auf Elektroautos umzusteigen. Und die Nachfrage ist da: „Bei uns haben sich im vergangenen halben Jahr etwa 90 Prozent der Fahrschülerinnen und Fahrschüler für den B197 angemeldet“, weiß Malte Sander.
Nicht erst seit der Fridays-for-Future-Bewegung wächst bei der Jugend das Interesse an Umwelt und Nachhaltigkeit – und so schließt sich ein Kreis: „Elektromobiliät ist die Zukunft und es macht total Spaß“, berichtet die 19-jährige Fahrschülerin Helena Reintsema. „Ich finde es toll, mit einem E-Auto zu fahren, weil es leicht zu bedienen ist und das Gefühl der Straße gut vermittelt. Nach der bestandenen Prüfung kann ich mir auf jeden Fall vorstellen, weiter elektrisch zu fahren, wenn es finanziell passt.“
Fahrlehrer Frank Schäfer stimmt seiner Schülerin mit einem energischen Kopfnicken zu: „Elektromobilität in der Fahrschule ist ein Megathema. Das ist die Zukunft und ich finde es klasse, dass wir Fahrschülerinnen und Fahrschülern moderne Technik nahebringen können und sie den Umgang mit dem Fahrzeug in Theorie und Praxis lernen“, sagt der 50-Jährige. Als er gehört habe, dass in seiner Fahrschule ID.3 und ID.4 im Gespräch seien, habe er innerlich „einen kleinen Freudensprung“ vollführt. Bis heute habe sich das nicht geändert. „Die Fahreigenschaften sind ideal – ob es der deutlich kleinere Wendekreis als bei einem vergleichbaren Verbrenner ist oder das Drehmoment beim Beschleunigen: Man kommt an der Ampel weg, ohne das Gefühl zu haben, dass man ein Hindernis ist.“
E-Autos sind absolut alltagstauglich
Und wie steht es um die Reichweite? „Mit einem vollelektrisch angetriebenen Auto ändert sich im Tagesablauf gar nicht viel“, sagt Schäfer. „Man denkt oft, dass Reichweiten ein Problem sind – dem ist aber nicht so.“ Rund 300 bis 350 Kilometer wird ein Fahrschulauto im Schnitt pro Tag bewegt. „Was derzeit noch nicht möglich ist, sind vier bis fünf 90-minütige Autobahnfahrten an einem Tag ohne Ladevorgang. Aber bei meinen Kollegen und mir gibt es im Grunde immer nur gemischte Tage, und dafür sind E-Autos bestens geeignet.“ Auch weil sich Elektrofahrzeuge beim Verbrauch konträr zum Verbrenner verhalten und innerorts weniger verbrauchen als außerorts. „Die Rekuperation macht es möglich“, betont Schäfer.
Und dann geht es auf die erste Fahrstunde des Tages. Konzentriert rollt Helena Reintsema im ID.4 vom Hof. Die Fahrschülerin kennt E-Autos bereits aus der bisherigen Ausbildung, ist bislang aber ID.3 gefahren. Nun also der größere ID.4. „Es ist schon ein anderes Fahrgefühl. Man sitzt höher und kann alles besser überblicken“, sagt sie zu Fahrlehrer Schäfer, der es begrüßt, wenn seine Schützlinge während der Ausbildung „so viele Autos wie möglich fahren“. Während das Duo im ID.4 dahingleitet und draußen der Spätsommer vorbeizieht, bindet Schäfer immer wieder spezifische Elemente zur Elektromobilität ein.
Neue Lerninhalte in der Ausbildung
Als sie sich einer geschlossenen Ortschaft nähern, sagt der Fahrlehrer: „Jetzt bitte auf die Bremse treten, die Geschwindigkeit reduzieren und dabei rekuperieren.“ Wie selbstverständlich setzt Helena die Aufforderung um. Sie und der ID.4 sind bereits nach kurzer Zeit ein eingespieltes Team. Den testweisen Wechsel vom Drive- in den Brake-Modus, in dem der ID.4 bei Gaswegnahme stärker verzögert und damit mehr rekuperiert, findet die Schülerin „irgendwie ungewohnt“.
Für Schäfer ist allerdings wichtig, dass seine Fahrschülerinnen und Fahrschüler wissen, welche technischen Möglichkeiten das Fahrzeug bietet. Helena weiß das zu schätzen: „Als ich zum ersten Mal das Elektroauto sah, habe ich mich gefreut. Es war meine erste Fahrstunde und es hat mich ein bisschen entlastet, weil ich wusste, dass ich mit dem Automatikgetriebe easy anfangen kann.“
Nach 60 Minuten Fahrtzeit und einer Strecke von rund 30 Kilometern über die Landstraßen im Umland hat der ID.4 zehn Prozent Akkuladung eingebüßt. Kein Grund zum Laden. Und auch keine Zeit. Denn es wartet schon die nächste Schülerin auf ihre Fahrt im Elektro-SUV. „Für mich ist es eine tolle neue Erfahrung, elektrisch zu fahren. Im ersten Moment war es ein relativ großer Unterschied zum Verbrenner, aber es macht mehr Spaß und es fährt sich auch leichter“, sagt Lara Albes und fährt behutsam an. Die Freude wird auch nicht durch den einsetzenden Regen und die damit erschwerten Bedingungen getrübt.
Die 17-Jährige freut sich bereits auf ihren Führerschein, den sie dann gleich in der Praxis anwenden kann: „Wir haben zu Hause einen Verbrenner und ein Elektroauto und so zahlt es sich auf jeden Fall aus, dass ich die Ausbildung auch auf einem E-Fahrzeug machen kann. Künftig werde ich sicher beide fahren.“ Ob sie den Führerschein überhaupt macht, stand für die Schülerin nie zur Debatte: „Es war mein Wunsch, so früh wie möglich die Ausbildung zu machen, damit ich noch ein Jahr begleitet von meinen Eltern fahren kann. Auto fahren macht mir sehr viel Spaß und wir sind viel damit unterwegs. So wie Lara geht es vielen: Im Jahr 2020 wurden in Deutschland rund 840.000 neue Führerscheine für Pkw ausgestellt.
„Man denkt oft, dass Reichweiten ein Problem sind – dem ist aber nicht so.“
Frank Schäfer, Fahrlehrer