Thymian Bussemer ist Strategiechef von Personalvorstand Gunnar Kilian und Leiter der Volkswagen Konzern Flüchtlingshilfe. 2008 war er Mitbegründer des Auschwitz-Besuchsprogramms für Volkswagen Manager.
35 Jahre Gedenkstättenarbeit in Auschwitz: ein Interview mit
Thymian Bussemer
Der Leiter HR Strategie und Innovation über Auschwitz als Erinnerungsort für Volkswagen.
„Die Erinnerung an den Holocaust wachhalten“ – das ist über Jahrzehnte ein Teil der Unternehmenskultur von Volkswagen geworden. Wie hat sich, Herr Bussemer, diese besondere Erinnerungskultur entwickelt?
Eine besondere historische Sensibilität hat es bei Volkswagen immer gegeben. Das war und ist der Gründungsgeschichte des Unternehmens geschuldet. Die für ganz Deutschland vorbildhafte Regelung der Zwangsarbeiterentschädigung und die Gedenkstättenarbeit in Auschwitz haben dann aber diese Schuld sozusagen produktiv gewendet und eine ganz besondere Form der Erinnerungs-, aber auch der Demokratiekultur bei Volkswagen begründet.
Die Geschichte der Internationalen Jugendbegegnungsstätte (IJBS) in Auschwitz (pol.: Oświęcim) ist ja eine ganz wunderbare: Die elf Länder der alten Bundesrepublik hatten sich Mitte der 1980er-Jahre auf die Gründung der IJBS geeinigt. Ein Land sprang kurzfristig ab und die Volkswagen AG übernahm dessen Rolle. Heute könnte man sagen: ein Glücksfall.
Denn seitdem treffen sich dort regelmäßig Auszubildende aus allen Standorten und helfen, die KZ-Gedenkstätten Auschwitz und Auschwitz-Birkenau als Erinnerungsorte zu erhalten. Da erleben sie die Geschichte des Holocaust hautnah, tauschen sich aus und kehren meist mit der Überzeugung heim: ‚So etwas wie in Auschwitz darf nie wieder passieren‘. Insofern ist das IJBS-Gründungsdatum am 8. Dezember 1986 auch einen Meilenstein in der Volkswagen Geschichte.
Vor einigen Jahren wurde das Austauschprogramm auch um den Meisternachwuchs und die Manager erweitert – warum?
Warum nicht? Für Demokratie, Pluralismus und Anti-Rassismus müssen sich in unserer Gesellschaft ja nicht nur die Jüngeren einsetzen. Als damaliger Mitorganisator der Management-Programme muss ich aber sagen, dass das Engagement unserer Auszubildenden der entscheidende Erfolgsfaktor für das ganze Projekt ist.
Christoph Heubner, der Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, ist seit Jahren der Organisator und Motor des Projekts „Auschwitz – Erinnern und Zukunft“. Er bekommt heute, zum Gründungsdatum der Internationalen Jugendbegegnungsstätte in Berlin das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen.
Auch im Namen von Gunnar Kilian gratuliere ich Christoph Heubner sehr herzlich! Wir sind oft mit ihm in Auschwitz gewesen und haben dem Projekt geholfen, wo immer wir konnten. Nie vergessen werde ich, wie Gunnar Kilian und ich vor vielen Jahren einen gespendeten Multivan nach Auschwitz überführt haben. Er sollte dort bei einer großen Zeremonie übergeben werden. Bei der Abreise in Wolfsburg am Vorabend fehlten erst das Auto, dann die Kennzeichen, dann die Ausfuhrpapiere und schließlich der in Polen zwingend vorgeschriebene Feuerlöscher. So ein Ding war auf dem ganzen Werksgelände nicht zu finden. Irgendwie haben wir es aber doch nach Auschwitz geschafft und Christoph Heubner nahm uns am nächsten Morgen strahlend in Empfang.
Was bedeutet die Gedenkstättenarbeit in Auschwitz für die Erinnerungskultur von Volkswagen heute und morgen?
Die konkrete Erinnerung an Auschwitz verblasst umso mehr, je weniger Überlebende davon noch berichten können. Umso wichtiger ist es einerseits, die konkreten Fakten, Artefakte und Überlieferungen zu sichern und lebendig zu halten. Dafür ist die Arbeit unserer Auszubildenden in Auschwitz essenziell. Doch Auschwitz ist nicht nur ein konkreter Ort, sondern auch die Chiffre für den größten Zivilisationsbruch der Geschichte. Wenn man so will: Auch bei unserem Engagement gegen heutige „hate speeches“ und „fake news“ schwingt Auschwitz immer mit.
35 Jahre Gedenkstättenarbeit
Die Gedenkstättenarbeit und die Jugendbegegnungen in Oświęcim (deutsch: Auschwitz) sind ein gemeinsames Projekt des Internationalen Auschwitz Komitees und des Volkswagen Konzerns auf Initiative des Konzernbetriebsrats.
Das Internationale Auschwitz Komitee (IAK) wurde 1952 von Überlebenden gegründet, damit Auschwitz nicht vergessen wird. Im IAK sind Organisationen, Stiftungen und Holocaust-Überlebende aus 19 Ländern vereinigt. Das IAK informiert auf Deutsch, Englisch, Französisch und Polnisch auf www.auschwitz.info.
In den vergangenen 35 Jahren haben sich mehr als 3.900 polnische und deutsche Jugendliche, Berufsschüler aus Polen sowie Auszubildende aus dem Volkswagen Konzern, an den Jugendbegegnungen beteiligt.
Ziel des Programms ist die Sensibilisierung für die historische und gegenwärtige Verantwortung von Volkswagen, resultierend aus der Rolle während der Zeit des Nationalsozialismus.
Seit 2008 gibt es zudem ein Führungskräfte-Programm, an dem bislang über 450 Meisterinnen und Meister sowie Managerinnen und Manager teilgenommen haben. Zur Agenda gehören Treffen mit Zeitzeugen und Überlebenden des Holocaust. Das Internationale Auschwitz Komitees begleitet diese Begegnungen und Studienaufenthalte. Sie sind fester Bestandteil der Erinnerungskultur bei Volkswagen.