Menschen der Generation Käfer horchen auf, wenn sie es heute hören. Sie sind dabei seltsam berührt, verspüren Melancholie, wie in Erinnerung an lange Vermisstes.
Es ist ein Geräusch, so unverwechselbar wie die Käfer-Silhouette: es sirrt, es zirpt, es raschelt, ist überlagert von beruhigendem Gebläserauschen - eine Euphonie, die jahrzehntelang unsere Mobilität untermalte, die in jenen Jahren Begleitmusik war für Unabhängigkeit und für wachsenden Wohlstand.
Seit den späten 40er Jahren und noch in den frühen 80ern des vergangenen Jahrhunderts prägte der unverwechselbare Käfer-Sound die Geräuschkulisse deutscher Straßen. Und auch andernorts war der luftgekühlte Käfer-Boxer Leit-Instrument im lärmenden Verkehrs-Konzert.
"Das liebt die Welt an Deutschland", titelte deshalb Ende der 60er Jahre die heute bereits legendäre Volkswagen-Werbung der Agentur Doyle Dane Bernbach (DDB), darunter eine kunterbunt gemischte Bilder-Sammlung: Heidelberg, eine Kuckucksuhr, Sauerkraut mit Knödeln, Goethe, ein Dackel, die Lorelei - und ein Käfer.
In der Tat: Der Käfer agierte in aller Welt als deutscher Botschafter - unüberhörbar, unverwechselbar, und dabei unerhört sympathisch. Er war jahrzehntelang beliebtester Importwagen in den USA. Und 1967 lag er auch auf der Insel Nauru im Süd-Pazifik im Aufwärtstrend. Dort, so schließt die "Das liebt die Welt an Deutschland"-Anzeige keck, sei der VW-Absatz um 200 Prozent gesteigert worden: "Von einem auf drei Käfer."
Der Humor.
Der typische Humor in Sachen Käfer.
Obwohl jedes Kind wusste, dass der Käfer-Motor luftgekühlt ist, mahnte VW Mitte der 60er Jahre zu Winterbeginn in ganzseitigen Anzeigen: "Vergessen Sie nicht, Frostschutzmittel in Ihren VW zu tun". Gemeint war nicht der Boxer im Heck. Gemeint war der Behälter fürs Scheibenwaschwasser, vorn unterhalb des Ersatzrades montiert - "Weil wir wissen, wie man einen Motor mit Luft kühlt. Weil wir noch nicht wissen, wie man eine Scheibe mit Luft wäscht."
Ob an der Luftwäsche in Wolfsburg gearbeitet wurde, verschweigt der Werbe-Texter - gewundert hätte es des Käfers Zeitgenossen nicht. Schließlich hatte ein Käfer-Bonmot zu jener Zeit längst Eingang in den deutschen Sprachschatz gefunden: "Luft friert nicht ein. Luft kocht nicht über."
Wasserkühlung in einem Volkswagen?
Damals genau so undenkbar, wie die Änderung des Käfer-Designs - selbst dann noch, als dieses längst als konservativ, ja als veraltet galt. Volkswagen spielte in der Werbung mit progressiven Spöttern - und erntete dafür den Beifall derer, die den Käfer liebten, so, wie er war und blieb. "Schon 1948 meinten viele, dass wir ihn ändern sollten", stand 1965 unter dem Bild eines frühen Brezelkäfers. Der Meinung sei in der Tat zuzustimmen. Deshalb habe VW bislang von 5008 Käfer-Teilen 5002 geändert oder verbessert.
Nur die Käfer Form - die typische Silhouette blieb.
"Es gibt Formen", erläuterte Anfang der 60er Jahre eine weitere VW-Anzeige, "die man nicht verbessern kann." Sie zeigte ein Ei mit aufgemaltem Käfer-Heck. Gut 15 Jahre später, bereits in der Golf-Ära, wiederholten die VW-Werber das prägnante Ei-Motiv aus traurig stimmendem Anlass. Als 1978 in Emden die letzten in Deutschland gebauten Käfer vom Band liefen, lautete der Slogan unter dem bemalten Anzeigen-Ei: "Wir wahren die Form. Bis zum Schluss." Und - geradezu trotzig: "Fast 21 Millionen Käfer-Käufer auf der ganzen Welt fanden das auch völlig in Ordnung."
Der Geruch.
Der typische Geruch im Käfer.
Auch er ging für VW-Fahrer in Ordnung: Wer im Käfer durchatmet, der inhaliert einen Hauch von heißer Maschine, vermischt mit dem Odeur angewärmten Teppichbodens. "Geruchsfreie Heizung" versprachen folglich Käfer-Konkurrenten als Vorteil ihrer Produkte, nicht ahnend, dass gerade diese Heizluft-Brise zur betörenden Aura im Käfer beiträgt. In Wärmetauschern produziert, aus Schwellen-Luken strömend, unterstreicht sie die unverwechselbare Persönlichkeit des Käfers wie wohlduftendes Parfum.
Diese meist nur laue Brise, das weiß heute nur noch die Generation Käfer, wurde zu Beginn der Käfer-Erfolgsgeschichte als Privileg empfunden, als Luxus in Zeiten, da andere Automobile überhaupt keine Heizung hatten. So mussten sich deren Fahrer im wattierten Mantel und mit Handschuhen hinters Lenkrad klemmen. Frühen Käfer-Besitzern hingegen genügte ein warmer Pullover für Fahrten in den Winter.
Das war gut so. Denn wer im Käfer in Begleitung unterwegs ist, der hat ohnehin wärmende Tuchfühlung mit seinem Nebenan. Der Hut kann dank üppiger Kopffreiheit zwar am gewohnten Platz verbleiben. Doch Pfeifenraucher tun gut daran, ihre Dunhill vor Fahrtantritt zu verstauen. Sonst könnten sie damit womöglich mit der Windschutzscheibe kollidieren.
Das Käfer-Gehäuse war stets eng, intim. Und es ist derart sorgfältig abgedichtet, dass die Türen beim Schließen viel Schwung und viel Gefühl benötigen, sollen sie nicht von komprimierter Luft zurück katapultiert werden - von Luft, die nach Maschine riecht, nach Teppichboden und manchmal auch nach Tabakrauch.
Das Gefühl.
Das typische Gefühl im Käfer.
Es ist wohlige Geborgenheit, die dieses Automobil seinem Besitzer beschert - und natürlich auch dessen Nachwuchs. Kleinkinder der Generation Käfer lagerten behütet in der Kofferkuhle hinter der Rücksitzlehne. Behäbiges Boxer-Rauschen und Rudi Schuricke wiegten sie in den Schlaf.
Die Generation Käfer wuchs mit dem Käfer auf - und in ihm. Sie wanderte mit den Jahren vom Platz unter dem Ovalfenster im Modell ´52 auf den Rücksitz im innen bereits lichteren Modell ´57, vom Rücksitz Anfang der 60er auf den (heute für Kids längst verbotenen) Beifahrersitz.
Erste heimliche Fahrübungen auf Waldwegen folgten im 66er Käfer 1500; wenig später aufregende Stunden mit dem Fahrlehrer zur Seite - natürlich im Käfer, in dessen Fond sich schließlich der gestrenge Fahrprüfer zwängte.
"Warum wohl lernen jährlich Tausende mit dem VW das Fahren?" fragte VW 1967 in einer Anzeige, um gleich die Antwort darauf zu geben: "Weil er so leicht zu fahren ist. Fragen Sie Ihren Fahrlehrer. Sein Beispiel hat Schule gemacht."
Die Handlichkeit.
Die typische Handlichkeit des Käfers.
Käfer-fahren hat etwas Behendes, das sich nicht aus Tempi definiert, sondern aus dem Spielerischen seiner Bedienung.
Leichtgängige Lenkung, Pedalerie und Schaltung, direkte Reaktionen auf Kommandos des Fahrers - das war damals, in den 50er und 60er Jahren, keineswegs so selbstverständlich wie ab den Mitt-70ern, in der Epoche des Volkswagen Golf. Der Käfer setzte hier zu seiner Zeit die Klassen-Maßstäbe - wie später der Golf.
Solche Qualitäten erschlossen sich speziell den Amerikanern, gewohnt mit unhandlichen Raumschiffen zu jonglieren. Arthur Railton, Journalist und in den 60er Jahren Vorstandsmitglied von Volkswagen of America, beschrieb die deutschen Davids im Verhältnis zu den amerikanischen Goliaths so: "Sie hüpften in den Verkehrsschlangen vor einem rein und raus. Sie huschten in die Parklücke, in die man gerade hineinwollte. Im Schnee surrten sie an anderen vorbei, und ihre Luftschlitze hinten sahen aus, als grienten und amüsierten sie sich über der anderen Hilflosigkeit."
Das amerikanische Verbraucher-Magazin "Consumer Reports" brachte die Wirkung des Käfers bereits im November 1952 auf den Punkt: "Wenn Sie gewöhnlicher Wagen müde sind, ist der Volkswagen eine gute Erfrischung." Und zwei Jahre später urteilte Lawrence Brooks, Testberater des selben Magazins, bereits euphorisch über den Käfer: "...einer von sehr wenigen Wagen, die ... Begeisterung hervorrufen, weil sie beim Fahren wirklich Spaß machen..."
Das wirkte.
Schon im November 1955 rieb sich Leo Donovan in der US-Zeitschrift "Popular Mechanics" verwundert die Augen: "... ein Wagen, klein und untermotorisiert. Doch dessen Händler können nicht ausreichend beliefert werden, so spektakulär läuft sein Verkauf. Und alles ohne kostenlose Reisen nach Paris... und ohne Rabatte. Welcher Wagen ist so unglaublich? Es ist der kleine, käfergleiche Volkswagen. Seine Händler haben sogar Lieferfristen für gebrauchte Modelle."
Das Image.
Das typische Image des Käfers.
"Kein anderes Automobil hatte eine derartige soziale Auswirkung", schrieb Arthur Railton in "The Beetle", seiner Hymne an den Käfer, "er wurde Teil unserer Folklore. Er hat seine eigene Mythologie. Man schrieb Bücher darüber, gab eigene Zeitschriften heraus, drehte Filme mit ihm als menschenähnlichem Star ... Der Käfer war Mittelpunkt von Hunderten von Witzen und wurde für Karikaturisten zum Symbol ... für den Rebellen gegen das Establishment."
Der Käfer war nicht Protz und Prunk. Doch er war auch nicht bloß reine Vernunft. Wie kein anderes Automobil zuvor und keines danach verlieh der Käfer seinem Besitzer durchaus Status - wenn der es darauf anlegte. Doch zuvorderst war der Käfer ein Statussymbol der Klassenlosigkeit - materiell wie intellektuell.
Bereits Mitte der 60er Jahre bediente sich die VW-Werbung dieser Käfer-Einmaligkeit, die Verkaufsstrategen heute "USP" (Unique Sales Proposition) nennen: "Man sieht ihm nicht an, was sein Fahrer ist. Ob er beispielsweise Glück bei Frauen oder an der Börse hat. Oder sogar beides. Ob er ein Grundstück im Tessin besitzt. In Bonn zur Prominenz gehört. Platon im Original liest."
Und knapp zehn Jahre später, im Juli 1971, analysierte unisono das deutsche Motor-Magazin "auto motor und sport": "Während sonst nahezu jeder Wagen nach Hubraum, Leistung und Preis eingestuft wird und somit gewisse Rückschlüsse auf den sozialen Status seines Besitzers ermöglicht, hat sich der Käfer ein absolut klassenloses Image geschaffen. In ihn kann sich jeder setzen, ohne befürchten zu müssen, dadurch seiner Umwelt tiefere Einblicke in seine persönlichen Verhältnisse zu gewähren..."
Wohl wahr.
Bei einer anderen Einschätzung des Käfers irrte das Stuttgarter Blatt indessen. "Einen wirklichen, echten Anti-Käfer wird und kann es nie geben", zog Reinhard Seiffert im November 1969 zum Abschluss seines Käfer-Testes ein Fazit. "Niemand kann ihn bauen - nicht einmal das Volkswagenwerk selbst."
Knapp fünf Jahre später, im Mai 1974, führten die Wolfsburger den Gegenbeweis. Plötzlich gab es ihn, den "Anti-Käfer" mit allen Käfer-Qualitäten, doch ohne dessen Mängel - von der Generation Käfer erdacht, gebaut für die künftige Generation Golf.